Aus Säch­si­sche Zei­tung / sächsische.de / Von Lui­sa Zenker

Bun­des­agrar­mi­nis­ter Cem Özd­emir will ein Tier­wohl­la­bel für Schwei­ne ein­füh­ren. Das stößt in Sach­sen auf Kri­tik. Ein säch­si­scher Land­wirt geht nun einen ande­ren Weg.

Bau­er Jan Gum­pert läuft über eine frisch gegos­se­ne graue Beton­plat­te. „Hier kön­nen sich die Schwei­ne dann im Dreck wäl­zen. Und dort ist der Aus­lauf, da dür­fen sie den gan­zen Tag raus. Der ist extra über­dacht, damit sie kei­nen Son­nen­brand bekom­men.“ Der Land­wirt aus Sach­sen geht durch die Bau­stel­le, auf der gehäm­mert und gebohrt wird. In weni­gen Mona­ten soll hier in Königs­hain-Wie­der­au bei Mitt­wei­da ein „Genie­ßer­stall“ entstehen.

Der Bau­er will ein neu­es Pro­jekt aus­pro­bie­ren: eine Genos­sen­schaft für „Genie­ßer-Schwei­ne“ und „Genie­ßer-Men­schen“. Letz­te­re zah­len einen Mit­glieds-Anteil von 1.000 Euro. War­um? „Weil sie an nach­hal­tig pro­du­zier­tes Schwei­ne­fleisch aus der Regi­on glau­ben“, ant­wor­tet der 58-jäh­ri­ge Bau­er mit grau­em Voll­bart. Denn der neue Stall soll den Tie­ren vie­les bie­ten: Statt den kon­ven­tio­nel­len 0,75 bekommt jedes Mast­schwein 2,5 Qua­drat­me­ter. Statt vier Mona­ten dür­fen die Schwei­ne sechs Mona­te leben. Statt Gül­le und Git­ter krie­gen sie Stroh. Statt mit Soja wer­den sie aus­schließ­lich mit hei­mi­schem Getrei­de gefüt­tert. Kreis­lauf­wirt­schaft nennt das Gum­pert. Die glei­che Men­ge an Gül­le kommt wie­der aufs Feld fürs Futter.

Fri­sche Luft für die säch­si­schen Schweine

„Von so einem Stall kön­nen nor­ma­le Schwei­ne nur träu­men“, sagt der Bau­er, der es wis­sen muss, ist er doch Vor­stands­vor­sit­zen­der des Land­wirt­schafts­be­triebs Agra­set, einem Unter­neh­men mit unter ande­rem 15.000 Mast­schwei­nen pro Jahr, aus kon­ven­tio­nel­ler Land­wirt­schaft. Dort, auf dem Betrieb in Erlau, sieht man kei­ne Schwei­ne. Sie alle fres­sen ver­schlos­sen hin­ter den Türen und wer­den nach vier Mona­ten zum Schlach­ter gefah­ren. Im neu­en „Genie­ßer­stall“ hin­ge­gen muss das Schwein für den Hack­bra­ten nur noch rüber lau­fen, denn direkt dane­ben baut Gum­pert mit sei­nen Mit­glie­dern einen Schlachthof.

Der Land­wirt scheint damit dem Bun­des­land­wirt­schafts­mi­nis­ter Cem Özd­emir (Grü­ne) einen Schritt vor­aus. Die­ser möch­te deutsch­land­weit eine Tier­kenn­zeich­nungs­pflicht im Super­markt für Fleisch­pro­duk­te von Mast­schwei­nen ein­füh­ren. Fünf Kate­go­rien: vom roten Stall bis zum grü­nen Bio-Frei­luft-Gehe­ge. Ver­brau­cher sol­len auf der Ver­pa­ckung erken­nen kön­nen, wie das Tier gelebt hat. Damit will der Minis­ter die Kauf­ent­schei­dung des Kon­su­men­ten beein­flus­sen, um so die Hal­tung hin zu mehr Tier­wohl zu wan­deln. Doch die­ses Label stößt auf rege Kri­tik: So for­dert der säch­si­sche Bau­ern­ver­band, die Kenn­zeich­nung umge­hend zu stop­pen. Größ­ter Kri­tik­punkt: Das Label hat nicht die gesam­te Pro­duk­ti­ons­ket­te im Blick. Berück­sich­tigt wer­de nur die Schwei­ne­hal­tung auf den Stu­fen Mast und Frischfleisch.

  • Plan des Tier­wohl­stalls, Foto: P3N MARKETING GMBH

„Damit ist es für Mäs­ter bei­spiels­wei­se mög­lich, betäu­bungs­los kas­trier­te Fer­kel aus ande­ren EU-Län­dern zuzu­kau­fen und als Tier­wohl­fleisch zu ver­mark­ten“, warnt der Säch­si­sche Bau­ern­ver­band in einem For­de­rungs­pa­pier an die säch­si­sche Poli­tik. Wei­te­re Betrie­be wür­den somit aus der Pro­duk­ti­on aus­stei­gen, weil es sich wirt­schaft­lich nicht mehr loh­ne. „Folg­lich wird der Selbst­ver­sor­gungs­grad mit Schwei­ne­fleisch in Sach­sen wei­ter sin­ken. Bereits jetzt liegt die­ser schät­zungs­wei­se kaum noch bei 30 Prozent.“

Kri­tik von Tier­schüt­zern am Tierwohllabel

Auch bei Tier­schüt­zern ist das Label umstrit­ten: Für Schwei­ne wür­den sich die Lebens­be­din­gun­gen zwi­schen den ein­zel­nen Hal­tungs­stu­fen kaum unter­schei­den, heißt es von der Tier­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Peta. „Statt­des­sen könn­te ein wei­te­res Label Ver­brau­cher und Ver­brau­che­rin­nen zu einem noch höhe­ren Fleisch­kon­sum ver­lei­ten, weil sie höchst­wahr­schein­lich davon aus­ge­hen, dass es dem Tier bei­spiels­wei­se in den Hal­tungs­stu­fen zwei bis vier bes­ser ergan­gen ist.“ Land­wirt Jan Gum­pert hält nicht viel vom Effekt des Tier­wohl­la­bels. „Am Ende ent­schei­det zu oft der Preis, kein Label. Das Fleisch aus dem Aus­land ist durch weni­ger Vor­schrif­ten güns­ti­ger.“ Er woll­te sich dem „Dik­tat der gro­ßen Han­dels­ket­ten“ nicht län­ger beu­gen und grün­de­te des­halb 2020 die „Genie­ßer-Genos­sen­schaft“. Damit ist er von den gro­ßen Super­märk­ten unab­hän­gig und kann der Natur, den Tie­ren und den Kon­su­men­ten nach­hal­tig bes­te Bedin­gun­gen zu bezahl­ba­ren Prei­sen bie­ten. Etwa 450 Mit­glie­der zah­len den Eigen­an­teil. „Der Stall gehört uns allen, min­des­tens ein­mal im Jahr wird es eine Ver­samm­lung geben.“ Der Gewinn wird an die Mit­glie­der im Ver­hält­nis ihrer Antei­le glei­cher­ma­ßen aus­ge­schüt­tet. Zudem wird er vom Frei­staat mit zwei Mil­lio­nen Euro gefördert.

2.700 statt 15.000 Schwei­ne im Stall

Den­noch: „Der neue Stall mit Schlacht­stät­te kos­tet meh­re­re Mil­lio­nen Euro, kon­ven­tio­nell hät­te etwa eine Mil­li­on Euro gereicht.“ Doch der Land­wirt will es anders machen, mit Jalou­sien, ganz­tä­gi­ger Frisch­luft und trotz­dem hoch­mo­der­ner Tech­nik. „Dort wird dann eine klei­ne Gon­del von links nach rechts fah­ren und das Stroh ver­tei­len“, deu­tet er mit dem Fin­ger auf die Holz­de­cke. Pro Jahr wer­den in dem neu­en Stall 2.700 Schwei­ne gemäs­tet. Kon­ven­tio­nell könn­te auf dem glei­chen Platz das Fleisch von 15.000 Schwei­nen jähr­lich pro­du­ziert wer­den. Zwei Ange­stell­te arbei­ten dann für sie. Die Mit­glie­der kön­nen sich jeder­zeit per Kame­ra dazu­schal­ten, und ihre Schwei­ne beob­ach­ten. „Ich will abso­lu­te Trans­pa­renz.“ Das Fleisch wird pro Kilo um die 20 Euro kos­ten, denn der Bau­er füt­tert sie mit extra Lein­schrot, das für den Men­schen vie­le gesun­de Ome­ga-3-Fett­säu­ren enthält.

Auf ein Bio-Sie­gel ver­zich­tet der aus Chem­nitz stam­men­de Bau­er aller­dings, trotz der nach­hal­ti­gen Unter­kunft für die Tie­re: „Das müss­te dann noch teu­er zer­ti­fi­ziert wer­den, außer­dem ist unser Fut­ter vom eige­nen kon­ven­tio­nel­len Acker aus der Regi­on, und das zählt nicht als biologisch.“

Der neue Stall wür­de nach dem neu­en Label also dann zur vier­ten Kate­go­rie Frisch­luft zäh­len, im Gegen­satz zum dicht abge­schlos­se­nen Stall der Agra­set, wo Gum­pert nor­ma­ler­wei­se arbei­tet. Die­ser wür­de wohl zur roten Kate­go­rie eins gehö­ren. Nach Anga­ben des Säch­si­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums zäh­len die meis­ten säch­si­schen Stall­be­trie­be zu den roten Kate­go­rien eins und zwei. Zer­ti­fi­ziert öko­lo­gisch leben der­zeit in Sach­sen 4.150 Schwei­ne. In den kon­ven­tio­nel­len Betrie­ben ste­hen dage­gen etwa 560.000 Schwei­ne. Die Bun­des­re­gie­rung plant des­halb zuzüg­lich des Labels auch finan­zier­te Umbau­maß­nah­men hin zu mehr Frischluftställen.

Frisch­luft für Schwei­ne bedeu­tet aller­dings auch Kon­flik­te mit der Nach­bar­schaft: So muss­te Land­wirt Gum­pert den „Genie­ßer­hof“ um 50 Meter ver­rü­cken, weil sich meh­re­re Hun­dert Ein­woh­ner der Gemein­de Königs­hain-Wie­der­au um den Gestank sorg­ten. Sein Fazit bleibt den­noch: „Es wür­de mehr Sinn erge­ben, wenn wir noch mehr sol­che Stall-Genos­sen­schaf­ten in Sach­sen grün­den wür­den, als das Tier­kenn­zei­chen ein­zu­füh­ren“, sagt er, dem das Risi­ko durch­aus bewusst ist. Denn ohne För­der­gel­der hät­te er so einen „Genie­ßer­stall“ nicht bau­en können.